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Die Wende

"Die Tiefflieger kommen!", rief in der Nacht unsere Nachbarin aus dem ersten Stock des Hauses. Sie war in Kiel ausgebombt und nach Groß-Vollstedt gekommen. Auf Grund ihres Schicksals war sie immer die erste, die die Alarmsirene hörte.

Für uns galt es dann sich zu beeilen. Noch recht schlaftrunken aus dem Bett und in das am Vorabend zurechtgelegte Zeug zu steigen. Dieses musste bei Dunkelheit geschehen, denn es durfte kein Licht gemacht werden. Zur Beschwernis kam noch hinzu, dass wir mit fünf Personen in einem kleinen Zimmer schliefen und einer dem anderen beim Anziehen im Weg stand.

Nach dem wir uns angekleidet hatten, nahm meine Mutter unseren zweijährigen Bruder,  Cousine Vera den gepackten Koffer und schnell raus über den nahegelegenen Schulhof zum Schützengraben. Auf dem Weg dorthin konnte man die Tiefflieger schon hören und sehen. 
Als letzte stiegen wir in den Schützengraben.

Eine Nachbarin meinte: "Wenn ihr kommt, dann ist der Angriff fast vorüber!"

Wir waren, was die Tiefflieger anbetraf, schon etwas abgestumpft. Zu oft haben wir auf der Flucht aus dem Wagen müssen und sind auf die umliegenden Felder gelaufen.

 Wir haben alle Angriffe überstanden. Nur einem Landwirt wurden die vor den Wagen gespannten Pferde von den Tieffliegern erschossen. Er selbst hatte sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen können. 

 Nach einigen Wochen kamen dann kaum noch Tiefflieger, und wir konnten die Nacht wieder durchschlafen.

 Eine neue Meldung ging nun durchs Dorf: "Die Engländer kommen mit ihren Militärwagen und Panzern."

Keiner wusste wie er sich verhalten sollte. Mit gemischten Gefühlen gingen wir Kinder an die Chaussee. Lassen uns die Engländer in Ruhe oder werden wir angegriffen?  Über die Russen hatte man ja nichts Gutes gehört.

Hier haben wir einige Stunden gewartet. Die Straße war absolut leer und es war still. Als dann die Ketten der Panzer rasselten wussten wir, jetzt ist es so weit. Die Engländer kommen. Die gebauten Panzergräben in den Straßen waren für sie kein Hindernis. Sie fuhren vorweg und dann die Lastwagen und Jeeps.

Schnell war die Angst verflogen. Die vorbeifahrenden Engländer winkten uns zu. Hin und wieder wurde mal eine kleine Dose mit Schokolade aus den Fahrzeugen geworfen.

Jetzt waren wir uns sicher, die tun uns nichts böses, die meinen es sogar gut mit uns!

 Täglich fuhren viele Militärfahrzeuge durch unseren Ort.

Bei einem Bauern hatten sie eine Deponie für ihre leeren Benzinkanister und Tonnen angelegt.  Hier sahen einige Dorfbewohner die Möglichkeit zu etwas Benzin zu kommen. Bei Eintritt der Dunkelheit wurde der Rest aus den Kanistern und Tonnen zusammen gegossen und man ging mit einem vollen Kanister davon.

Wir Kinder hatten davon gehört und versuchten auch unser Glück. Ein Kanister nach dem anderen wurde geschüttelt, aber alle waren leer. Wir kamen wohl immer zu spät.

 Eines Tages, wir spielten auf dem Schulhof, gab es einen entsetzlichen Knall.

Wir waren sehr erschrocken, sollten die Engländer doch noch etwas zur Explosion gebracht haben?

Nach einer kurzen Zeit sahen wir einen jungen Mann den Waldweg entlang laufen. Er hatte das Gesicht, die Arme und Hände verbrannt. Durch das Laufen sollte die Luft seine Brandwunden kühlen. Auf Hilfe musste er lange warten, denn der nächste Arzt war erst in Nortorf, etwa neun Kilometer entfernt, zu erreichen.

Erst später stellte sich heraus, wie der Unfall passiert war: er wollte die Benzinfässer auf ihren Inhalt kontrollieren und hatte dazu mit einem entzündeten Streichholz hineingeleuchtet...  

 

 

 

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