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Meine Schulzeit in Parpart

"Warte nur ab, du kommst bald in die Schule!", sagte meine Großmutter zu mir, wenn ich wieder einmal ungehorsam war. Oft habe ich mir dann gedacht, die Schule muss ja etwas schlimmes sein.

Ein halbes Jahr vor der Einschulung sagte meine Mutter: "Ich werde jetzt nur noch hochdeutsch mit dir sprechen, das brauchst du für den Unterricht". Verstehen konnte ich die Sprache schon, aber sie selber sprechen mochte ich nicht, doch meine Mutter bestand darauf.

 

Der Tag war gekommen als meine Mutter sagte: "Morgen bringe ich dich zur Schule." Sie hatte schon große Schwierigkeiten gehabt einen Schulranzen zu kaufen. Diesen konnte man zu damaliger Zeit nur mit einem Bezugsschein vom Bürgermeister erwerben. Oft waren auch in den Läden keine Schulranzen mehr zu kriegen. Eine gebrauchte Schiefertafel hatte sie von Bekannten bekommen.

An der Schiefertafel waren zwei kleine Tücher mit einem Band befestigt. Das eine Tuch musste immer feucht sein, um die Tafel zu säubern und mit dem  andere Tuch wurde  sie wieder trocken gewischt. Am liebsten hätte meine Mutter den abgebrochenen Griffel auch noch an die Tafel angebunden damit er nicht verloren ging.

 

Nun war der Tag gekommen. Ich bekam den Tornister angeschnallt und meine Mutter nahm mich an die Hand um mit mir zur Schule zu gehen. Vor lauter Angst konnte ich nichts mehr sagen, und wenn doch dann durfte es nur in der neuen Sprache sein.

An der Schule angekommen begegneten uns die großen Schüler, die wegen der Einschulung schon etwas früher nach Hause gehen konnten. Die neuen Schulzugänger durften gleich in das Klassenzimmer. In diesem großen Raum wurden alle Schüler zusammen unterrichtet. Für die Erst- und Zweitklässler waren lange Bänke vorhanden, die ganz vorne standen.  In diesen konnten bis acht Schüler sitzen. Die Bänke sahen aus, als wenn sie aus der Kirche kamen, sie waren nur noch mit einem Tisch versehen. Der Tisch war etwas schräge und auf der oberen Seite mit einer Rille versehen, in die man den Griffel legen konnte. Unter der Tischfläche konnte man seinen Tornister ablegen.

 

Jeder durfte sich einen Platz aussuchen, auf dem er dann immer sitzen sollte. So konnte sich der Lehrer die Namen der neuen Schüler besser merken. Es dauerte auch nicht lange, bis der Lehrer in den Klassenraum kam. Er begrüßte uns freundlich und bat uns, immer aufzustehen wenn er hereinkam. Als nächstes bekamen wir eine Anweisung, wie wir uns in diesem Raum zu verhalten hätten. Wir sollten uns immer ruhig verhalten, immer saubere Fingernägel haben und auch jeden Tag ein sauberes Taschentuch vorzeigen.

 

Nach einigen Tagen hatte ich mich an die Schule gewöhnt und fand sie gar nicht so schlimm wie meine Großmutter gesagt hatte. Wenn der Lehrer sich den größeren Schülern zuwandte, mussten wir auf unserer Schiefertafel Buchstaben und Zahlen schreiben. Nach etwa einem halben Jahr wurde der Lehrer in den Krieg eingezogen. Nun hatten wir einige Wochen schulfrei, bis eine neue Lehrkraft den Unterricht aufnahm. Wir bekamen eine junge Lehrerin, die erst ihr Studium abgeschlossen hatte. Diese war sehr nett zu uns und der Unterricht machte viel Spaß.

Besonders toll fand ich, dass sie mit jedem der Schüler eine Woche lang mit zu dessen Eltern ging, um dort zu Mittag zu essen. Wenn sie bei uns aß, war ich immer sehr artig und machte auch gleich nach dem Essen meine Schulaufgaben. Sonst war das nicht immer der Fall. Man musste ja auch zeigen, was man für ein braver Junge war. Meiner Mutter war ich dankbar, als sie sagte, das es immer so wäre. Ob die Lehrerin das glaubte, weiß ich nicht.

Wir hatten uns an unsere Lehrerin gewöhnt und mochten sie sehr gerne.

 

Nach ein paar Monaten wurde sie versetzt und wir waren sehr traurig sie zu verlieren. Dieses mal dauerte es nicht lange bis wir eine neue bekamen. Diese Lehrerin war sehr streng und wir mochten sie nicht, aber mit der Zeit hatten wir uns auch an sie gewöhnt.

Ich glaube, in den drei Jahren Schulzeit in Parpart, bis zur Flucht, haben uns nacheinander sechs Lehrerinnen und ein Lehrer unterrichtet. 

 

Nach der Flucht im Jahre 1945 hatten wir in Groß-Vollstedt etwa ein Jahr keinen Unterricht. Auch hier war wieder keine Lehrkraft. 1946 bekamen wir einen alten Lehrer, der aus Ostpreußen geflohen war. Er hatte zwar das Rentenalter schon erreicht, aber sich bereit erklärt wieder zu unterrichten. Dieser Lehrer war mehr den Flüchtlingskindern zugetan und bevorzugte diese vor den Einheimischen.

Seine Art zu unterrichten war schon gewöhnungsbedürftig. Zum Beispiel beim Lesen. "Wir wollen die Stunde mit Lesen beginnen, alle mit dem Lesebuch nach vorne treten, wer nicht lesen kann, bleibt auf seinem Platz", sagte er. Natürlich kamen alle Kinder nach vorne, sie wollten sich doch nicht die Blöße geben, nicht lesen zu können. Er suchte sich dann die Schüler aus, von denen er schon wusste, dass sie mit dem Lesen Schwierigkeiten hatten. Vor lauter Angst klappte es mit dem Vorlesen dann auch selten.

"Ich habe doch gesagt, wer nicht lesen kann soll auf seinem Patz bleiben!", waren dann seine Worte.

 

Auch störte es ihn sehr, wenn bei einem der Schüler beim Unterricht mal der Holzpantoffel vom Fuß fiel. "Wer war der Klumpfuß?", wollte er dann wissen. Der betroffene Schüler musste dann seinen Holzpantoffel in den neben dem Ofen stehenden Kasten für Heizstoffe werfen. In der Pause durfte der Pantoffel dann unter Schwierigkeiten wieder heraus geholt werden. Die kleineren Schüler hatten es sehr schwer an ihr Schuhwerk zu kommen, denn die Kiste war sehr hoch.

 

Nach einigen Jahren kam der einheimische Lehrer aus der Gefangenschaft zurück und übernahm wieder den Unterricht. Dieser Lehrer wollte anständige Menschen aus uns machen. Er hatte uns nicht nur in der Klasse in seiner Gewalt, sondern bestrafte die Kinder auch, wenn sie außerhalb der Schulstunden etwas angestellt hatten. Beschwerte sich mal ein Erwachsener über einen Schüler, so wurde dieser zu Strafarbeiten verurteilt.

 

In einem  Winter hatten sich drei Schüler aus der letzten Klasse den Spaß gemacht mit einem Schemel, den sie aus einer Fischerhütte gestohlen hatten, auf dem zugefrorenen See zu rutschen. Der Fischer hatte sich bei dem Lehrer beschwert und dieser nahm die Sache gleich in die Hand. Am Tage darauf fragte er noch vor Unterrichtsbeginn nach den Ãœbeltätern. Diese sollten sich sofort bei ihm melden. Die drei Jungen waren ehrlich und meldeten sich. Sie hatten dadurch wohl mit einer milden Strafe gerechnet. Sie mussten nach vorne kommen und dem Lehrer den Sachverhalt schildern. Aber dieser kannte kein Erbarmen. Er gab einem der drei Jungen sein Taschenmesser. Damit musste sich jeder aus dem Knick eine Rute schneiden, mit der er geschlagen werden sollte. Als sie mit ihren Ruten wieder in den Klassenraum kamen, musste sich einer nach dem anderen über die Schulbank beugen und bekam heftige Schläge auf das Hinterteil. Nach dieser Prozedur mussten sie zu dem Fischer gehen und sich bei ihm für ihr Fehlverhalten entschuldigen.

 

Auch schärfte er uns ein, wie wir uns nach dem Unterricht zu verhalten hätten.

Es war selbstverständlich, dass die Erwachsenen von den Schülern gegrüßt wurden. Das Grüßen geschah stets mit einer leichten Verbeugung. Trugen die Jungen eine Kopfbedeckung, so musste diese beim Grüßen abgenommen werden. Die Mädels grüßten mit einem Knicks. Fuhr man mit einem überfüllten Bus und hatte noch einen Sitzplatz bekommen, so war dieser einem stehenden Erwachsenen anzubieten.

 

Ich glaube, Groß-Vollstedt musste zu damaliger Zeit wegen der höflichen Schulkinder bekannt gewesen sein.

 

Nach einigen Jahren, als ich in die sechste Klasse der Volksschule ging, teilte uns der Lehrer mit, dass er Groß-Vollstedt verlassen wolle und um eine Versetzung gebeten hatte. Ich glaube, ich war nicht der einzige Schüler, der diesem strengen Lehrer nicht nachtrauern würde.

 

Nach ca. zwei Monaten bekamen wir einen neuen Lehrer. Dieser war sehr freundlich zu uns und wir durften in der Schule auch mal wieder lachen. Er fühlte sich nur in den Unterrichtsstunden für uns verantwortlich. Was die Kinder in ihrer Freizeit machten, dafür waren die Eltern verantwortlich. Die Prügelstrafe war bei ihm verpönt. Musste dennoch einmal bestraft werden, so war es höchstens eine halbe Stunde Nachsitzen - aus der meistens nur zehn Minuten wurden.

 

Es brachte ihm auch großen Spaß mit uns Theaterstücke einzustudieren, die wir dann in der Gaststätte auf der Bühne aufführten. Unsere Eltern und auch fremde Leute waren immer von der Aufführung begeistert.

Leider lief meisten bei der Generalprobe nach einem einstudierten Stück alles schief. Wenn die Probe beginnen sollte, fehlte unser Lehrer. Er setzte sich dann in die Gaststube  und genehmigte sich auf ein gutes Gelingen ein paar Schnäpse.

Dabei vergaß er dann seine Alkoholprobleme und trank soviel, das ihn seine Frau abholen musste. Wir Kinder durften dann nach hause gehen, und das Theaterstück musste ohne Generalprobe aufgeführt werden.

Häufig fiel der Unterricht auch aus, dann war unser Lehrer nicht in der Lage zu unterrichten.

Trotz allen Geschehens war er der beste Lehrer, den ich in meinen Schuljahren hatte. 

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