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Lehrjahre sind keine Herrenjahre

Meine Schulzeit endete im März 1951. Schon am Anfang des Jahres war für mich nur noch ein Thema aktuell, und zwar die Lehre. Welchen Beruf soll ich erlernen?

Da ich häufig für meine Mutter einkaufen musste, wünschte ich mir immer, selbst hinter dem Ladentisch zu stehen und den Kunden ihre Wünsche zu erfüllen.

Ja, mein Entschluss stand nun fest, ich wollte Kaufmann werden.

Mein Schulabschlusszeugnis war gut ausgefallen und so dürfte es eigentlich keine Probleme geben diesen Beruf zu erlernen.

Mir wurde sogar eine Lehrstelle in Nortorf (ca. 9 km von Groß-Vollstedt entfernt) in Aussicht gestellt.

Es kam aber leider alles ganz anders. Der Schmiedemeister in unserem Ort suchte einen Lehrling. Er hatte natürlich auch schon mit meinen Eltern gesprochen (ohne dass ich davon wusste) und sie überzeugen können, dass ich für diese Lehre genau der Richtige sei.

Ich sollte nun den Schmiede- und Landmaschinenberuf in seinem Betrieb erlernen.

Meine Eltern und der Meister kannten sich sehr gut, denn auch er musste, wie wir, 1945 aus Parpart flüchten. In Groß-Vollstedt hatte er sich wieder selbstständig gemacht.

Meine Eltern versuchten nun mich umzustimmen. Sie sagten: "Überleg es dir, ob du täglich mit dem Fahrrad  nach Nortorf fahren willst und das auch im Winter bei Schnee und Glatteis."

Ihr Argument war nicht von der Hand zu weisen, denn die Schmiede war keine 400 Meter von uns entfernt.

Mir war nicht ganz wohl bei dem Gedanken einen handwerklichen Beruf zu erlernen. Ich hatte kein besonderes Talent mit Werkzeug umzugehen. Außerdem war ich auch noch Linkshänder. Ich ließ mich trotz meiner Bedenken überreden (damals hörte man noch mehr auf seine Eltern) und willigte ein, die Lehre anzunehmen und einen Lehrvertrag zu unterschreiben.

Der Lehrvertrag besagte, dass ich in der Woche von montags bis einschließlich sonnabends in der Zeit von sieben bis zwölf Uhr und von dreizehn bis neunzehn Uhr zu arbeiten hätte. Hierfür bekam ich Essen, aber schlafen sollte ich bei meinen Eltern.

Im ersten Lehrjahr bekam ich keinen Lohn, dafür aber die Fahrkosten zur Berufsschule nach Rendsburg erstattet.

Im zweiten Lehrjahr sollte ich dann 1,40 DM im Monat und im dritten Lehrjahr 8,00 DM erhalten.

Ferner standen mir im Jahr zwei Wochen Urlaub zu, wovon ich je eine Woche für einen Schweißkursus abzweigen musste. Ich weiß nicht, ob andere Lehrverträge auch so ausbeutend waren.

Am 2. April 1951 begann meine Lehre.

Eine meiner ersten Aufgaben waren, für die Sauberkeit und Ordnung in der Schmiede zu sorgen. Da ich von meiner Mutter so erzogen war, versuchte ich auch hier Ordnung zu halten (und zwar meine). Die Werkzeuge wurden der Größe nach an ihrem Platz aufgereiht. Die Esse von sämtlichen,  nach meiner Meinung, unnützem Zeug befreit. Die Schmiede wurde gefegt, alles war sauber und ich stolz auf meine Arbeit.

Leider war der Meister anderer Meinung, denn er konnte angeblich nichts wieder finden und ich bekam die erste Schelte. Von da an nahm ich es mit der Ordnung nicht mehr so genau und es klappte schon besser mit dem Meister.

Nach einigen Monaten durfte ich auch schon beim Pferdebeschlagen zu sehen. Wenn die Pferde neue Hufeisen bekamen, waren sie mitunter sehr unruhig. Meine Aufgabe war es, sie zu beruhigen und mit ihnen zu reden. Was ich ihnen erzählt habe weiß ich heute nicht mehr. Aber sie ließen es sich gefallen, ihre Hufe mit neuen Eisen zu versehen.

Im zweiten Lehrjahr durfte ich dann selbst die Pferde beschlagen. Schwierigkeiten hatte ich immer noch mit dem Hammer. Ich musste ihn statt in die linke in die rechte Hand nehmen. Der Effekt war, ich schlug häufig daneben.

Auch hatte ich bei der Arbeit mit dem Vorschlaghammer so meine Probleme. Er war für mich nicht nur unhandlich, sondern auch viel zu schwer.

Ich lernte erst ihn richtig anzufassen. Hierbei musste das Ende des Stieles mit der linken Hand angefasst werden. Die rechte Hand umfasste den Stiel in der nähe des Hammerkopfes. Beim Schmieden wurde der Hammerstiel an der rechten Körperseite gehalten und darauf geachtet werden, dass man nicht aus dem Takt kam. Sonst könnte man den Schmiedehammer des Meisters treffen. Legte der Meister seinen Hammer auf die Seite, durfte auch der Vorschlaghammer abgelegt werden. Ich muss gestehen, dass diese Arbeit sehr anstrengend war und mir häufig dann das Atmen schwer wurde.

An einem Tag, ich weiß nicht ob der Meister wieder mal böse mit mir war, passierte etwas Schreckliches. Ich musste mal wieder mit dem Vorschlaghammer beim Schmieden helfen. Dieses mal ließ der Meister mich solange mit dem Hammer arbeiten, bis ich keine Kraft mehr hatte. Der Hammer wurde immer schwerer und ich fasste den Stiel mit der rechten Hand ganz nahe des Hammerkopfes an. Beim Aufschlagen verfehlte ich das Werkzeug. Ich hatte daneben geschlagen und meinen rechten Zeigefinger getroffen. Dieser hatte seine Form verloren und sah ziemlich breit aus. Mir wurde einen Moment schwarz vor den Augen. Als ich mir etwas später den Finger genau ansah, entdeckte ich eine Quetschwunde aus der das Blut tropfte. Auch der Meister zeigte plötzlich Interesse und sah sich meinen lädierten Finger an. Meistens bekam ich bei einer Verletzung immer von ihm zu hören: "Das ist faules Fleisch, das muss weg!"  Dieses mal sagte er: "Da musst du wohl mit zum Arzt!" Der Finger wurde notdürftig verbunden und ich fuhr mit meinem Fahrrad in den nächsten Ort zum Doktor.

Dieser sah sich die Wunde an und sagte: "Da kann ich nicht helfen, mit der Verletzung müssen sie in die Unfallklinik nach Kiel." Ich sagte zu ihm: "Mit dem Fahrrad kann ich unmöglich noch nach Kiel fahren und ich habe auch kein Geld bei mir um die Fahrkosten für den Linienbus zu bezahlen." Er sah mich mitleidig an, zog seine Geldbörse und gab mir leihweise Geld, damit ich fahren konnte.  In Kiel angekommen, machte ich mich auf die Suche nach der Unfallklinik. Diese Stadt war mir fremd, denn ich war das erste mal hier.

In der Klinik angekommen, wurden erst meine Personalien aufgenommen. Ich musste dann genau erklären wie ich zu der Verletzung gekommen war. Nach ca. einer halben Stunde (ob ich wohl noch Schmerzen hatte?) wurde ich von einer Krankenschwester aufgerufen. Ein Arzt besah sich meinen verletzten Finger, ließ ihn reinigen und röntgen. Etwas später teilte er mir mit, dass ich noch viel Glück gehabt hätte und nichts gebrochen sei. Die Wunde wurde mit Heilsalbe behandelt und ich bekam einen ordentlichen Verband angelegt. Außerdem wurde ich vorerst krank geschrieben.

Zwei Jahre Lehrzeit hatte ich jetzt geschafft, eine Zwischenprüfung gemacht und in der Urlaubszeit an Schweißkursen teilgenommen. Waren in der Werkstatt Schweißarbeiten auszuführen, so war das stets meine Aufgabe. Das Elektro- und Autogenschweißen lag mir sehr und ich tat es gern.

Eines Tages hatte der Meister eine Arbeit, bei der zwei Teile zusammen geschweißt werden sollten. Bei dieser Arbeit sollte ich den Schweißbrenner verwenden. Den benötigten Sauerstoff hatten wir in einer blauen Stahlflasche. Das Azetylengas bekamen wir aus einem Entwicklerkessel. In diesem musste eine bestimmte Menge Wasser sein. Karbid wurde in einen hierfür vorgesehenen Korb gelegt und der Korb mittels eines Hebels in das Wasser getaucht.

Als die Vorbereitungen getroffen waren, konnte ich mir die dunkle Schweißerbrille aufsetzen, den Brenner anzünden und die Flamme einstellen.

Der Meister hatte die Teile schon zurecht gelegt, wobei er ein Teil zusätzlich noch mit einer Schmiedezange festhielt. Mit der Arbeit konnte begonnen werden.

Aus mir unerklärlichen Gründen fiel eines der Teile auf den Fußboden. Beide bückten wir uns, um es wieder aufzuheben. Hierbei hatte ich plötzlich einen merkwürdigen Geruch in der Nase. Ich ließ die Schweißflamme erlöschen, setzte die Brille ab und sah den Meister an.

Er war beim Bücken mit dem Kopf zu dicht an die Flamme geraten und sein Bart hatte sich verändert. Er war um einiges kürzer geworden.

Mir war die Sache recht unangenehm und ich erwartete von ihm eine Strafpredigt. Aber das Gegenteil passierte, er sagte kein Wort und ging aus der Werkstatt zu seiner Frau.

Seltsamerweise wurde über diesen Vorfall auch nicht mehr gesprochen.

Mir selber war nun völlig die Lust vergangen die Lehre fortzusetzen. Aber ich hörte wieder auf meine Eltern, die der Meinung waren: "Wenn man zwei Jahre durchgehalten hat, wird man das dritte auch noch schaffen."

Ich habe durchgehalten, die Gesellenprüfung gemacht, die ich mit der Note "gut" bestand, und eine neue Arbeitsstelle gesucht.

 

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