Der seltsame Kaffee
Nach einigen Jahren hatte sich das "miteinander" Leben normalisiert. Die Nachbarin und meine Mutter verstanden sich jetzt gut und sie halfen sich auch gegenseitig. Hatte einer mehr als der Andere, so wurde geteilt. Auch stellten sie miteinander Sirup, Kartoffelmehl und Kaffeeschrot her.
Nachmittags, wenn meine Mutter Zeit hatte, wurde mal eine Tasse Ersatzkaffee getrunken. Bohnenkaffe gab es ja nicht.
Als der Vorrat an Schrot zu Ende ging musste neuer hergestellt werden. So beschlossen die beiden Frauen, auf den abgeernteten Feldern die bei der Ernte verlorengegangenen Gerstenähren zu sammeln, um daraus neuen Ersatzkaffee rösten zu können. Die Erlaubnis der Bauern hatten sie dafür.
Die gesammelten Ähren wurden dann in einen Beutel gelegt und mit einem Gegenstand so lange darauf geschlagen, bis das Korn sich aus den Ähren gelöst hatte. Das Gedroschene wurde nun mit Hilfe des Windes gereinigt. Die Gerste schüttete man in eine Pfanne und röstete sie bis sie dunkelbraun war. Nach dem Abkühlen wurde das Korn gemahlen und man hatte wieder Kaffeeschrot. Beide Frauen hätten auch gerne mal einen echten Kaffee genossen, aber leider konnte man den nicht kaufen. An echten Bohnenkaffee kam man nur heran, wenn man Verwandte in Amerika hatte, die hin und wieder mal ein Paket schickten.
Eine andere Nachbarin hatte dieses Glück. In den Paketen, die sie erhielt, war meistens eine Tüte "echter" Kaffee drin.
Eines Tages musste die besagte Nachbarin für längere Zeit das Haus verlassen und so wurde die direkte Nachbarin, mit der sich meine Mutter so gut verstand, gebeten, die Hausaufsicht zu übernehmen. Zum Abschied bekam die Haushüterin noch einen echten Kaffee kredenzt, der mit höchstem Genuss getrunken wurde.
Am nächsten Tag erzählte die Nachbarin meiner Mutter wie gut doch der Kaffee aus Amerika geschmeckt hatte. Auch meine Mutter sollte mal wieder einen echten Kaffee trinken. Dafür wollte sie sorgen.
Also ging sie mit einer Tasse gemahlenen Gerstenschrotes in die Wohnung der Verreisten, nahm sich eine Tasse echten Kaffee aus der Dose und füllte diese wieder mit dem Schrot auf.
Jetzt wurde sich zu hause gemütlich hingesetzt und meine Mutter bekam den versprochenen echten Kaffee.
Als die andere Nachbarin wieder nach Hause kam, machte sie sich gleich einen Kaffee - aber der Geschmack war nicht mehr der, den sie in Erinnerung hatte.
Zum Glück war sie der festen Meinung, wenn der Kaffee erst ein paar Tage steht, dann schmeckt er nicht mehr so gut. Dann schmeckt er fast wie Mischkaffee! Und diese Entdeckung erzählte sie auch gleich weiter.
Die Nachbarin und meine Mutter mussten sich das Lachen verkneifen. Aber der echte Kaffee hatte ihnen gut geschmeckt!
Das war die Strafe für den, der nicht so gerne abgibt.